
Warum will Hoffnungszeichen Stellung beziehen?
Als Menschenrechtsorganisation kritisieren wir jede Menschenrechtsverletzung, jedes Verbrechen gegen die Menschlichkeit und jedes Kriegsverbrechen, gleich, von wem es verübt wird. Wir bedauern jeden Menschen, der durch die Gewalt eines anderen Menschen zu Schaden kommt. Wir beten für alle Opfer dieses Krieges und für diejenigen, die nun ohne den Menschen zurechtkommen müssen, den sie geliebt haben. Wir bedauern das große Leid, das auch dieser Krieg über die Menschen bringt, über Israelis wie über Palästinenser. Wir beten für einen dauerhaften Frieden, für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza, für die Freilassung aller Geiseln und dafür, dass alle Menschen im Nahen Osten in Frieden leben können.
Was wir derzeit im Nahen Osten sehen, ist eine menschliche Tragödie und jeder Mensch, der unter diesem Krieg leidet, ist einer zu viel.
Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson
Wir können als Organisation in Deutschland nicht auf den gegenwärtigen Krieg im Nahen Osten sehen, ohne des größten Menschheitsverbrechens des 20. Jahrhunderts, der Shoah, zu gedenken. Die systematische Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden in den dunkelsten Zeiten des Nationalsozialismus ist eng mit der Staatsgründung Israels 1948 verbunden. Vor dem Hintergrund dieser historischen Verantwortung Deutschlands, die auch wir als Teil der deutschen Zivilgesellschaft mittragen, ist das Bekenntnis zur treuen Freundschaft mit Israel eine grundlegende Haltung, zu der auch wir uns ebenso eindeutig bekennen wie zu der Zusammenfassung der damaligen Bundeskanzlerin Merkel, dass die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson sei. Christoph Heusgen betont zurecht, dass in diesem Sinne Israels Sicherheit deutsche Staatsräson sei, "(…) aber zur israelischen Sicherheit gehört auch, dass sich das Land nicht durch den exzessiven Einsatz militärischer Gewalt und den Bruch des Völkerrechts weltweit Feinde macht und isoliert.“ (Gastbeitrag von Christoph Heusgen in der Frankfurter Rundschau: Warum Berlin Palästina anerkennen sollte.)
Zäsur durch den Hamas-Terror am 7. Oktober 2023 und Israels Antwort
Im israelisch-palästinensischen Konflikt (Nahostkonflikt) kam es am 7. Oktober 2023 durch den Terrorangriff der Hamas zu einer dramatischen Zäsur. Dieser Angriff, der unbeschreibliches Leid über Israel brachte, eskalierte den Konflikt in eine neue Gewaltstufe: Mehr als 1.200 Menschen wurden durch die Hamas und andere palästinensische Gruppen in einem Massaker getötet. Mehr als 250 Geiseln wurden in den Gaza-Streifen verschleppt. 48 Geiseln befinden sich derzeit immer noch in der Gewalt der Hamas.
Israel ging nach dem 7. Oktober gewaltsam gegen die Hamas im Gaza-Streifen vor, auch eine große Zahl ziviler Opfer ist zu beklagen. Diese weitere Eskalation der Gewalt brachte immenses Leid über die Menschen in Gaza. Im Zuge der Kämpfe im Gaza-Streifen sind bis 31. Juli 2025 64.522 Menschen auf palästinensischer Seite getötet und 163.096 Menschen verletzt worden. Etwa 1,9 Millionen Menschen, also 90 % der Gesamtbevölkerung Gazas sind auf der Flucht.
Humanitäre Situation im Gaza-Streifen
Die humanitäre Lage im Gaza-Streifen infolge des israelischen Militäreinsatzes bleibt katastrophal. Mehr als eine halbe Million Menschen in Gaza sind laut einer am 22. August 2025 veröffentlichten Analyse der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) von einer Notlage betroffen, die durch weit verbreitete Hungersnot, Armut und vermeidbare Todesfälle gekennzeichnet ist. Es wird erwartet, dass sich die Hungersnot vom Gouvernement Gaza auf die Gouvernements Deir al-Balah und Khan Younis ausbreiten wird.
Ein sofortiger Waffenstillstand und die Beendigung des Konflikts seien entscheidend, um eine ungehinderte, groß angelegte humanitäre Hilfe zu ermöglichen, die Leben retten könne. Zudem gebe die Gefahr einer verstärkten Militäroffensive in Gaza-Stadt und eine Eskalation des Konflikts Anlass zu großer Sorge, da dies weitere verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung hätte, die bereits unter Hungersnot leidet. Viele Menschen – insbesondere kranke und unterernährte Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen – seien möglicherweise nicht in der Lage, zu fliehen.
Bis Ende September 2025 würden mehr als 640.000 Menschen im gesamten Gaza-Streifen von einer katastrophalen Ernährungsunsicherheit betroffen sein, die als IPC-Phase 5 eingestuft wird. Weitere 1,14 Millionen Menschen in dem Gebiet werden sich in einer Notlage (IPC-Phase 4) und weitere 396.000 Menschen in einer Krisensituation (IPC-Phase 3) befinden. Die Lage im Norden Gazas wird als ebenso schlimm – oder sogar noch schlimmer – eingeschätzt wie in Gaza-Stadt.
Die Einstufung als Hungersnot bedeutet, dass die extremste Kategorie ausgelöst wird, wenn drei kritische Schwellenwerte – extreme Nahrungsmittelknappheit, akute Unterernährung und Todesfälle aufgrund von Hunger – überschritten wurden. Die jüngste Analyse unterstreicht, dass diese Kriterien erfüllt sind.
Menschliche Dimension des Krieges im Gaza-Streifen
Täglich sehen wir herz-zerreißende Bilder von gefolterten Geiseln und sterbenden Kindern. Wir sehen Bombenexplosionen und Menschen, die an Hunger zu sterben drohen. Wir sehen brennende Krankenhäuser, hören heulende Sirenen. Wir sehen diesen Krieg aus jeder Entfernung: Wir sehen Details von Wunden in menschlichen Körpern in Nahaufnahme, wir sehen an Häusern explodierende Granaten und Raketen und wir sehen in großer Entfernung Leuchtspurmunition, die am Nachthimmel auf ihre Ziele zuschießt.
Wir sehen das in aller Regel auf einem zweidimensionalen Bildschirm – ohne Gerüche oder die Temperatur wahrzunehmen und: ohne um das eigene Leben oder das Leben in der eigenen Familie fürchten zu müssen. So können wir uns zwar einen Eindruck vom Leid der Menschen im Gaza-Streifen und in Israel machen, aber können wir dieses Leid wirklich begreifen? Zumindest haben wir die Fähigkeit, solidarisch mitzufühlen und können festhalten, dass das Leid, das Menschen Menschen im Nahen Osten antun, unerträglich ist. So darf es nicht weitergehen!
Beginn einer juristischen Aufarbeitung des Krieges im Gaza-Streifen als Beitrag zur Friedensfindung
Papst Johannes XXIII. erklärte bereits 1963 in seiner Enzyklika Pacem in terris , dass sich Frieden auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Liebe gründet. Angesichts der Schlachtfelder des Nahen Ostens mag dieser Gedanke geradezu utopisch klingen, er zeigt aber ein Ziel auf, auf das sich menschliche Hoffnung richten kann.
Wenn man Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und solidarische Liebe als Sequenz sieht, beginnt der Weg zum Frieden mit der Suche nach der Wahrheit und in Erkenntnis der Wahrheit mit dem Verlangen nach Gerechtigkeit.
Hier sind zunächst die beiden betroffenen Gesellschaften gefragt: Was wird die palästinensische Gesellschaft, was wird die israelische Gesellschaft aufzuarbeiten haben? Welche Lehren werden diese Völker aus der schrecklichen Zeit nach dem 7. Oktober 2023 ziehen? Wie werden sie damit umgehen? Eine derartige tiefgreifende Aufarbeitung wird vermutlich eine gewisse zeitliche Distanz und damit den Rückblick von Historikern aus beiden Gesellschaften brauchen, die fähig und willens sind, die Rolle ihrer Gesellschaft auch von der Perspektive der jeweils anderen Gesellschaft aus zu betrachten.
Wie kann man sich der Wahrheit, wie der Gerechtigkeit aber gegenwärtig und ohne den zeitlich distanzierten Rückblick des Historikers annähern? In praktisch allen Kulturen dieser Welt werden zur Aufklärung der Wahrheit und zur Findung von Gerechtigkeit Gerichte angerufen.
Nach der Shoah, dem größten durch die Nationalsozialisten begangenen Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts, haben sich die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges durch die Einrichtung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals dazu entschlossen, diejenigen Menschen, die eine individuelle Verantwortung für Völkermord, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen tragen, einer Strafe zuzuführen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat – in Weiterentwicklung dieses Gedankens – als ad-hoc-Tribunale den Internationalen Strafgerichtshof zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und für Ruanda eingerichtet. Nach der Tätigkeit dieser ad-hoc-Gerichtshöfe verabschiedeten im Jahr 1998 120 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen das Römische Statut, das zur Einrichtung des ständigen Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) führte, der wiederum nur dann für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zuständig ist, wenn die für die Strafverfolgung eigentlich zuständigen Staaten unfähig oder unwillig zur Ermittlung oder Durchführung der Strafverfahren sind.
Dieser Strafgerichtshof kann in der völkerrechtlichen Praxis einen wesentlichen Beitrag zur Feststellung einer individuellen Schuld von Tätern leisten, indem er sich einen möglichst unverstellten Blick auf die Wahrheit, so wie sie ihm sich gegenwärtig darstellt, erarbeitet. Die auch daraus abgeleitete Feststellung einer individuellen Schuld, gegebenenfalls in Verbindung mit einer Bestrafung, hat dann nicht nur eine abstraktere generalpräventive Funktion, sondern liefert einen wichtigen Beitrag zur Gerechtigkeit, die eine Grundbedingung für einen tiefen Frieden ist.
Von den weltweit 195 Staaten erkennen 125, darunter alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Rechtsprechung des IStGH an. Zu den Staaten, die den IStGH nicht anerkennen, gehören z.B. die USA, Russland, China, Indien, Pakistan und Israel. Hoffnungszeichen sieht den IStGH als legitimes Gericht an, das Wahrheit erkennen und zur Gerechtigkeit beitragen kann.
Am 21. November 2024 erließ die Vorverfahrenskammer I des IStGH einen Haftbefehl gegen Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri, allgemein bekannt als „Deif“, den obersten Befehlshaber des militärischen Flügels der Hamas (bekannt als al-Qassam-Brigaden), wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Mord, Ausrottung, Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt sowie wegen Kriegsverbrechen wie Mord, grausamer Behandlung, Folter, Geiselnahme, Verletzungen der persönlichen Würde, Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt, die seit mindestens dem 7. Oktober 2023 auf dem Gebiet des Staates Israel und des Staates Palästina begangen wurden. Das Verfahren gegen Al-Masri wurde zwischenzeitlich eingestellt, weil er zu Tode kam.
Ebenfalls am 21. November 2024 erließ die Vorverfahrenskammer I des IStGH außerdem zwei Entscheidungen, mit denen sie die vom Staat Israel gemäß Artikel 18 und 19 des Römischen Statuts erhobenen Einwände zurückwies und Haftbefehle gegen Benjamin Netanjahu und Yoav Gallant wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erließ, die mindestens vom 8. Oktober 2023 bis mindestens zum 20. Mai 2024 begangen wurden. Benjamin Netanjahu, zum Zeitpunkt der fraglichen Handlungen israelischer Ministerpräsident, und Yoav Gallant, zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Handlungen israelischer Verteidigungsminister, werden verdächtigt, Kriegsverbrechen in Form von Aushungerung als Kriegsmittel und vorsätzlicher Ausrichtung von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Mord, Verfolgung und anderen unmenschlichen Handlungen begangen zu haben.
Mit den Haftbefehlen kann freilich noch keine individuelle Schuld festgestellt werden, klar erscheint durch sie jedoch, dass es substanzielle Ansatzpunkte für die Vermutung einer möglichen individuellen Verantwortlichkeit der drei Personen im Zusammenhang mit den ihnen vorgehaltenen Sachverhalten gibt.
Die Haftbefehle beziehen sich auf Tatvorwürfe, die bis zum 20. Mai 2024 begangen worden sind. Ob die danach stattgefundene weitere Eskalation der Gewalt im Nahen Osten zur erweiterten und/oder neuen Tatvorwürfen führt, bleibt abzuwarten. Hoffnungszeichen sieht in diesem Zusammenhang jedoch den IStGH als Garanten für eine tiefgreifende juristische Aufarbeitung der schlimmsten Gräueltaten des Krieges im Nahen Osten.
Politische Betrachtung: Zweistaatenlösung als Ausweg?
Hoffnungszeichen sieht eine auf dem Verhandlungsweg zu erzielende Zweistaatenlösung als beste Möglichkeit an, damit Israelis und Palästinenser unter Wahrung der Menschenwürde nebeneinander in Frieden und Sicherheit leben können. Eine Zweistaatenlösung bedarf wiederum jedenfalls einer völligen Demilitarisierung der Hamas, ihres Ausschlusses von jeglicher Regierungsbeteiligung im Gaza-Streifen, in welchem der Palästinensische Behörde eine zentrale Rolle zukommen muss.
Der Menschen gedenken
Hoffnungszeichen gedenkt der Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten. Vor dem Hintergrund des größten Menschheitsverbrechens des 20. Jahrhunderts, der Shoah, stehen wir weiterhin an der Seite der Menschen in Israel. Dies gebietet uns aus unserer Sicht unsere eigene historische Verantwortung; und wir stehen auch an der Seite der Menschen auf der palästinensischen Seite, die mit dem Krieg nichts zu tun haben wollen und ihm trotzdem zum Opfer fallen.
Forderungen Hoffnungszeichens
Hoffnungszeichen fordert
- die strafrechtliche Verfolgung durch den IStGH aller Täter, die im Nahostkrieg eine individuelle Verantwortung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen tragen, um der Gerechtigkeit und damit dem Frieden Vortrieb zu leisten,
- eine umgehende und dauerhafte Waffenruhe,
- die Bereitstellung sofortiger, ungehinderter und massiver humanitärer Hilfe und
- von der Hamas die unverzügliche und bedingungslose Freilassung aller Geiseln.