„Ich habe schon den Zweiten Weltkrieg miterlebt“, erzählt die 82-jährige Nina Petriw* in einem slowakischen Erstaufnahmelager für Ukraine-Flüchtlinge. „Damals mussten wir auch fliehen. Aber in die andere Richtung, nach Sibirien. Und heute geht es genau entgegengesetzt.“ Die alte Dame ist eine der vielen Millionen Menschen, die auf der Flucht sind. Gepäck hat sie nicht viel. Sie zeigt auf eine kleine Reisetasche: „Alles was wichtig ist, ist hier drin. Meine Fotoalben, Bilder aus meinem Leben.“ Auf unbestimmte Zeit hat sie ihre Heimat verloren. Vielleicht für immer.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet aktuell mit der Rekordzahl von 100 Millionen Flüchtlingen weltweit. Etwa die Hälfte davon sind Binnenvertriebene, die im eigenen Land auf der Flucht sind. Der Ukraine-Krieg hat die Zahlen in jüngster Zeit rasant in die Höhe getrieben. Andere Konfliktregionen tragen ebenfalls dazu bei, etwa Äthiopien, Jemen und der Südsudan.
„Wird das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Flüchtlinge?“, fragt Reimund Reubelt, Erster Vorstand von Hoffnungszeichen, der Organisation für Menschenrechte, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. „Die aktuelle Ballung von Krisen weltweit lässt keinen Zweifel daran, warum die Flüchtlingszahlen gerade steigen. Unser Blick muss aber darüber hinaus reichen. Die direkten und die indirekten Folgen des Klimawandels werden mit Sicherheit noch in diesem Jahrhundert mehr und mehr Menschen aus ihrer Heimat vertreiben.“ Zu den indirekten Folgen zählt der Experte für Entwicklungszusammenarbeit kriegerische Konflikte um immer knappere Ressourcen. Hunger und Armut als direkte Folgen des Klimawandels seien aktuell in Ostafrika schon sehr ausgeprägt. „Dort sehen wir eine Entwicklung, die uns auf längere Sicht Sorgen bereitet“, erklärt Reimund Reubelt. „Sich verschlechternde klimatische Bedingungen rauben den Menschen dort mehr und mehr die Lebensgrundlage. Und zwar dauerhaft.“
Hilfe zur Anpassung kann die Folgen des Klimawandels abfedern. Dazu gehört die Verbesserung der Anbaumethoden. Mit landwirtschaftlichen Schulungen etwa in Uganda und in der DR Kongo engagiert sich Hoffnungszeichen auf diesem Gebiet. „Hoffnungszeichen fördert die Menschenrechte, will weltweit Armut und Hunger verringern und setzt sich nachhaltig für bessere Gesundheits-, Bildungs- und Zukunftschancen ein“ betont Reimund Reubelt. „Damit fördern wir Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Nur so lässt sich verhindern, dass wir ein Jahrhundert der Flüchtlinge erleben.“ Auch im Bereich der Konfliktvermeidung zeigt Hoffnungszeichen mit Schulungen Lösungswege auf, etwa wenn es um Streitigkeiten zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern geht. „Da wirken wir auf lokaler Ebene“, so Reimund Reubelt. „Was die großen kriegerischen Konflikte angeht, können wir zum Weltflüchtlingstag nur mit Nachdruck fordern, dass die internationale Gemeinschaft mehr Anstrengungen unternimmt, die Krisenregionen zu befrieden.“
Das wünschen sich auch Menschen wie Nina Petriw. Als die Bombenangriffe auf ihre Heimatstadt Kiew begannen, sollte sie in den Schutzkeller, aber das schaffte sie nicht. In ihrer Wohnung harrte sie aus und hoffte, dass es sie nicht trifft. „Ein Elend so ein Krieg“, sagt sie und schüttelt traurig den Kopf.
„Jahrhundert der Flüchtlinge?“ (Pressemeldung vom 20.06.2022)